aus der Anaganga-Sutta, Tripitaka, gekürzte fassung
Im Vihara Anatha-pindikas, im Jetahain von Savatthi, nachdem die Bhikuns ihre Almosenschalen gewaschen und mit zerkauten Wurzelbürsten ihre Zähne gesäubert hatten, sprach der ehrwürdige Sariputta als ältester Theravadin (Bruder der Waldtradition) von den vier Menschenarten:
„Da ist Einer voller Tadels und erkennt es nicht wirklichkeitsgemäß. Ein Zweiter jedoch ist voll des Tadels und ist sich dessen bewusst. Da ist ein Dritter tadellos und erkennt das nicht wirklichkeitsgemäß. Ein Vierter hingegen ist tadellos und sich dessen voll bewusst.“
Jener Mensch, der voller Tadel ist und es nicht wirklichkeitsgemäß erkennt, der gilt von den fehlerhaften Menschen als minderwertiger. Der Mensch, der seine Fehler erkennt, gilt als hochwertiger. Jener tadellose Mensch, der sich dessen nicht bewusst ist, gilt von den beiden fehlerfreien Menschen als minderwertiger.
Von dem Mann, der voller Tadel ist und dieses nicht erkennt, nicht wird er Willens sein und Kraft einsetzen, den Tadel abzusetzen. Der wird dann voller Hass, Wahn und Verblendung, beschmutzen Geistes dahinsterben. Gleich als wenn er eine beschmutzte Metallschale vom Markt heimbringt und ungeachtet in einen Verschlag wirft, wo sie weiterhin im Unrat verkommt. Beim Mann voller Tadel, der einsichtig ist, kann man hoffen, dass er seine Kraft einsetzt, seinen Makel abzuschütteln; der wird dann lustfrei, hassfrei, wahnfrei und kann unbeschmutzten Geistes dahinsterben. Gleich als wenn er eine verschmutzte Metallschale vom Markt heimbrächte, sorgsam putzt, nutzt und pflegt, so würde diese begehrenswert wie neu erschaffen.
Von einem tadellosen Mann, der sich dessen aber nicht bewusst ist, kann man erwarten, dass er auf die Pracht der Welt sein Denken richtet und ihm die Lust den Geist versehrt. Der gilt als minderwertiger von den Tadellosen, denn der Tadellose, der sich dessen voll bewusst ist, hütet sich vor erkanntem Schaden. Das ist der Grund, warum der vollbewusste tadellose Mann der hochwertigere ist.“
Da bat der zweitältste Theravada Maha-Moggallana den weisen Sariputta, näher auf den Begriff des Tadels einzugehen, und Sariputta kam dessen Wunsch gerne nach:
„Gut ist alles, womit man weder sich noch andere schädigt. Die bösen, unguten Wunschbereiche bezeichnet man als tadelig. Da gibt es eine Möglichkeit, derart, dass einem Bhikhun solch Wunsch aufstiege: „Ach, dass doch das Sangha (Mönchgemeinde) bei der Kritik- und Selbstkritik-Stunde nicht einen Tadel von mir erfahre.“ Der wird dann ärgerlich und missmutig, was ebenfalls zu tadeln ist.
Ein anderer Wunsch eines Bhikhun könnte lauten: „Ach, dass doch in Rede und Gegenrede gerade mit mir der Ajahn (Lehrer) die Lehre zeige und nicht mit einem anderen Konfrater!“ Weitere Wünsche könnten sein: die „Almosengruppe durchs Dorf zu führen, am nächsten der älteren Brüder zu sitzen, den Segen zu erteilen, die Rezitation anzuführen, die Suttas vorzutragen, zu einem Gastmahl eingeladen zu werden.“ Bei einem solchen Bhikhun hört und sieht man, dass er diesen Makel nicht abgetan hat. Gleich als würde man einen goldblinkenden Topf voller Hunde- und Schlangenkadaver über den Marktplatz hin und her tragen, bis ein Beherzter hineinschaut, bei dem würde sich Unbehagen, Widerwille und Ekel einstellen, und selbst Hungrige würden keine Esslust aufkommen.
Ebenso mag der Bhikhun, bei dem man es sieht und hört, dass diese bösen, unguten Wunschbereiche nicht abgetan sind, mag er auch als Waldeinsiedler einsamer Lagerstätte pflegen, sein karges Mahl Bissen um Bissen selber sammeln, das raue Kleid aus Kehrichtresten in den billigsten, gelbroten Farben färben, und doch werden ihn seine Ordensbrüder nicht schätzen, werthalten, würdigen, verehren. Wer jedoch diese unguten Wunschbereiche abgelegt hat, mag er auch in unmittelbarer Nähe eines spendenfreudigen Dorfes logieren und frisch gespendete Kutten tragen, und doch werden ihn seine Mitbrüder verehren, schätzen, werthalten, würdigen.
Weil man bei diesem Verehrten sieht und hört, dass er diese bösen, unguten Wunschbereiche abgetan hat. Gleich als wenn eine Metallschale vom Markt gebracht würde, rein und blank, gefüllt mit weißen, gekochten Reis, wohlschmeckendem Gemüse und heilsduftenden Kräutern. Wer diese dampfende Kost besieht, bei dem würde sich Behagen einstellen, und selbst bei Gesättigten noch reichlicher Appetit aufkommen.“
Nach einer Weile des Schweigens begann der verehrte Moggallana zu reden: „Da fällt mir gerade ein Vergleich ein: Damals lebte ich in einer Bergbaude (Gartenhaus), als ich Nähe Rajagaha einen Wagner namens Samiti beim Handwerk zuschaute. Da trat auch der Nackler (Jainer) Pandupputta hinzu. Dem störten in Gedanken beim Zurechtschneiden des Radkranzes einige Unschönheiten, die Samiti dann schnell begradigte. In diesem Augenblick rief der Nackler die Freudenrufe aus: „Unmittelbar von Herz zu Herz, meint man, schnitzt der Wagenbauer Samiti!“ Ebenso hat der ehrwürdige Sariputta mit seiner Sutta (Lehrrede) von Herz zu Herz geredet. Die Aryja (Edel-Geborene, Buddhas Gläubige) aber, die von Haus zu Haus in die Hauslosigkeit hinausgezogen, sind wohlbewacht am Tor der Sinne, beim Mahl das rechte Maß kennend, eifrig in Wachheit, ernsthaft in ihrem Mönchstum, voll Strenge und Nachdruck in der Übung, widersetzlich der Verlockung, bei Abgeschiedenheit die ersten, voll frischer Kraft und zielbewusst, voll wacher Aufmerksamkeit und nachdenklich, gesammelt und einträchtig, scharfsinnig und weise, die werden, wenn sie diesen Lehrgang des ehrwürdigen Sariputtas hören, gleichsam trinken, gleichsam essen, sowohl vom Wort wie vom Gedanken.
Segenvoll wahrlich ist es ja, Freunde, indem man das Ungute vor ihnen aufsteigen lässt, im Guten zu befestigen. Gleich als wenn ein Weib, jung, blühend, in vollem Schmuck, gebadeten Hauptes, blaue Lotosblüten, Jasminblüten oder Windenblüten nähme, sie mit vollen Händen fasste und oben auf dem Scheitel befestigte, ebenso ist es ja wahrlich segensvoll, die Glaubensbrüder, indem man das Ungute vor ihnen aufsteigen lässt, im Guten zu befestigen!“
So erfreuten sich jene beiden großen Lehrer, einer an des anderen Meisterwort.
Achtsamkeitsübung: „Den Tadel loslassen und die Tadellosigkeit stärken“
Diese Übung hilft, die im Artikel beschriebenen Konzepte von Tadel und Tadellosigkeit auf das persönliche Leben anzuwenden und Achtsamkeit für eigene Gedanken und Handlungen zu entwickeln.
Dauer: 15-20 Minuten
Ort: Ruhiger, ungestörter Platz
Schritte:
1. Ankommen (2 Minuten)
Setze dich bequem hin, entweder auf einen Stuhl oder auf den Boden. Halte die Wirbelsäule aufrecht, aber entspannt. Schließe die Augen und richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Spüre, wie die Luft ein- und ausströmt, ohne sie zu kontrollieren.
2. Innere Bestandsaufnahme (5 Minuten)
Stelle dir zwei Fragen:
- Gibt es etwas, worüber ich mich selbst kritisiere oder tadle?
- Gibt es Bereiche, in denen ich tadellos handle, mir dessen aber nicht bewusst bin?
Lass die Antworten aufkommen, ohne sie zu bewerten. Nimm wahr, welche Gedanken, Gefühle oder körperlichen Empfindungen dabei auftauchen.
3. Visualisierung: Den Tadel reinigen (5 Minuten)
- Stelle dir eine Metallschale vor, wie im Artikel beschrieben. Sie ist verschmutzt und voller Makel. Diese Schale symbolisiert deine selbstkritischen Gedanken oder Handlungen.
- Visualisiere, wie du die Schale mit klarem, frischem Wasser reinigst. Sie wird nach und nach sauber und glänzend. Spüre dabei, wie du auch innerlich mehr Klarheit und Leichtigkeit gewinnst.
4. Die Tadellosigkeit stärken (5 Minuten)
- Denke an eine Handlung oder Eigenschaft, die du als tadellos an dir erkennst. Vielleicht ist es eine kleine Geste der Freundlichkeit, eine gut gemeinte Absicht oder ein Moment der Geduld.
- Stelle dir vor, wie diese Eigenschaft wie ein helles Licht in dir leuchtet. Mit jedem Atemzug wird das Licht stärker und heller, bis es deinen ganzen Körper erfüllt.
5. Abschluss (2-3 Minuten)
Kehre langsam zum Atem zurück. Nimm wahr, wie du dich jetzt fühlst. Bedanke dich bei dir selbst für die Zeit und Energie, die du dir gewidmet hast. Öffne sanft die Augen und kehre achtsam in deinen Alltag zurück.
Hinweis:
Diese Übung kann regelmäßig durchgeführt werden, besonders in Momenten der Selbstzweifel oder wenn du dich daran erinnern möchtest, wie wichtig das Bewusstsein für eigene Tadellosigkeit ist.