Mönch Legende 3
Ein Leben zwischen Freude und Leid
An einem Talhang, über einen kleinen Bach, wuchs das Mädchen Lila bei ihrer Tante auf, da sie ihre Eltern früh verloren hatte. Oft beneidete sie die Dorfbewohner, die in heilen Familien lebten und ihr als Waisenkind nur abwertende Blicke zuwarfen. Eines besonders traurigen Tages saß Lila nachdenklich am gurgelnden Bach und klagte ihm ihr Leid. Da trat aus dem Nichts ein Mönch des nahegelegenen Klosters an sie heran, setzte sich neben sie und sprach freundlich: „Mein Name ist Tenzin. Ich habe deine Sorgen bemerkt und verstehe deine Enttäuschung. Aber wisse, Glück und Traurigkeit sind wie zwei Seiten eines Flusses – beide gehören zu jedem Leben. Jeder Mensch erlebt sie auf seine Weise. Komm, ich begleite dich zurück ins Dorf, damit du die Menschen mit neuen Augen sehen kannst.“
Zögerlich folgte Lila dem heiligen Mann zurück ins Dorf. Unterwegs vertraute sie ihm an: „Ich möchte auch so glücklich sein wie die anderen Leute! Oft bin ich richtig neidisch auf sie.“ Tenzin lächelte und antwortete: „Jeder im Dorf hat eine Geschichte, in der du vielleicht die Antwort findest, die du suchst.“
Vor dem stattlichen Haus des Händlers Ajoon blieben sie stehen, und dieser lud die beiden ein, ihn zu besuchen. Lila staunte über den Reichtum im Haus, und sie wurden zu einem Frühstück mit Obst und Tee gebeten. Tenzin sprach höflich aus, dass sie gerne etwas über das Leben des Kaufmanns erfahren würden. Erleichtert begann Ajoon zu erzählen: „Mit Mühe habe ich meinen Reichtum erworben. Doch darüber verstarb meine Frau im Kindbett, und mein Sohn kam schwach zur Welt. Oft misstraue ich den Menschen um mich herum, aus Angst, betrogen zu werden oder mein Hab und Gut zu verlieren. Ich lebe einsam, ohne Liebe, und würde all meinen Reichtum geben, wenn nur mein Kind gesund und meine Frau noch bei mir wäre.“
Als Lila seine Worte hörte, empfand sie tiefes Mitgefühl für den Kaufmann und spürte, wie sich ihre Perspektive änderte. Sie verabschiedeten sich höflich und besuchten als Nächstes den Dorfschmied Ravi, der zwar bescheiden, aber zufrieden lebte. Sie bewunderte seine Stärke und Geschicklichkeit. Der Schmied, der gerade am Amboss stand, wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich zu ihnen für ein kurzes Gespräch. Als Tenzin ihn nach seiner Lebensgeschichte fragte, begann Ravi mit Freude zu erzählen: „Täglich bearbeite ich das glühende Eisen mit schmerzenden Händen und ertrage die beißende Hitze an der Esse. Abends falle ich erschöpft ins Bett, und mein karger Lohn fließt meist zum Dorfheiler für Medizin. Dennoch schätze ich das einfache Leben und die Zufriedenheit, die es mir bringt.“ Lila begann zu verstehen, dass auch Kraft und Geschicklichkeit nicht automatisch Glück bedeuten.
Nach dem Besuch beim Schmied besuchten Tenzin und Lila die Heilerin, die sie in ihrem duftenden Kräutergarten antrafen. Die Heilerin sprach offen über ihre Herausforderungen: „Heilerin zu sein ist schwer. Krankheiten und Unfälle fordern mich täglich heraus, und die Suche nach Heilpflanzen und deren Verarbeitung erfordert viel Kraft. Mein Lohn ist gut, doch sehe ich viel Schmerz und fühle mich oft hilflos. Das raubt mir manchmal den Schlaf.“ Auch hier erkannte Lila, dass äußere Fürsorge und Anerkennung das innere Leiden der Heilerin nicht aufwiegen konnten.
Auf ihrem Weg nach Hause kamen sie an Nikkils Feld vorbei, wo er sich um seine Ernte kümmerte. „Nikkil scheint immer so zufrieden zu sein in seiner Nähe zur Natur,“ bemerkte Lila. Doch als der Bauer sie zu sich winkte, erklärte er: „Das Leben als Bauer ist hart. Jedes Jahr bangen wir um das Wetter. Regen, Stürme und Dürren bedrohen unsere Ernte, und Schädlinge können eine ganze Saison zerstören. Oft bleibt mir kaum Zeit für die Familie, was den Hausfrieden belastet.“ Lilas idealisiertes Bild vom glücklichen Leben eines Bauern verwandelte sich in ein tieferes Verständnis seiner Herausforderungen.
Als sie schließlich bei ihrer Tante ankamen, sagte Lila nachdenklich: „Danke, Tenzin, für deine Hilfe. Ich habe gelernt, dass jeder Mensch, ganz gleich wie glücklich er wirkt, seine eigenen Kämpfe hat. Reichtum, Stärke, Anerkennung und Fürsorge sind keine Garanten für Glück. Wahre Zufriedenheit entsteht in uns selbst.“ Der Mönch nickte und verabschiedete sich mit den Worten: „Sehr richtig! Glück und Traurigkeit hängen nicht von äußeren Umständen ab, sondern davon, wie wir sie wahrnehmen und darauf reagieren. Glück entsteht, wenn wir schätzen, was wir haben. Kultiviere Dankbarkeit und vermeide den Vergleich mit anderen, denn das führt nur zu Neid und Unzufriedenheit. Wir sehen meist nur einen Bruchteil des Lebens eines anderen.“
Achtsamkeitsübung:
Setze dich in einen ruhigen Raum und schließe die Augen. Atme tief ein und aus, bis du dich vollständig auf deinen Atem konzentrieren kannst. Denke an eine Situation, in der du Glück oder Traurigkeit empfunden hast. Beobachte das Gefühl ohne Wertung, lass es kommen und gehen wie Wolken am Himmel. Akzeptiere, dass Glück und Traurigkeit Teil des Lebens sind. Verweile einige Minuten in diesem Zustand und wiederhole innerlich: „Ich erlebe alle Gefühle als Teil meines Wachstums.“ Diese Übung kann helfen, inneren Frieden zu finden und emotionale Stabilität zu fördern.