Ein Blick auf den Kausal-Nexus
Einstmals weilte der Erhabene in Kammmassadhamma, der Residenzstadt des Königs der Kuru, wo er in einem Hain die Waldtradition (Theravāda) pflegte. Zum Halbtagsfasten suchte der ehrwürdige Ānanda den Erhabenen in seiner Laube auf und begrüßte ihn freundlich mit angelegten Händen. Der Erhabene forderte Ānanda durch eine Handbewegung auf, sich seitlich neben ihn zu setzen. Dort ließ sich der ehrwürdige Ānanda mit überkreuzten Beinen auf einen Heubüschel nieder und drückte sein Erstaunen über das „Paṭiccasamuppāda“ (den Kausal-Nexus) aus:
„Wie tief es erscheint und doch liegt es mir gleichsam durch und durch offen da!“
Daraufhin erwiderte der Erhabene:
„O Ānanda, sprich nicht so! Tief ist dieses abhängig-gleichzeitige Entstehen und tief sein Schein. Durch das Nichterkennen und Nichtdurchschauen dieser Wahrheit geschieht es, dass dieses Menschengeschlecht knäuelartig verflochten, klumpenartig verfilzt, wie Gras und Unkraut, aus Elend, Glück, Verderben und dem Weiterwandern nicht herauskommt.
Ist Altern und Sterben in Abhängigkeit von etwas da?“
Ānanda antwortete: „Ja, o Bhagavā (Erhabener)!“
Der Arahat fuhr fort:
„Wenn das so ist, weißt du auch, dass es von Geburt abhängig ist. Geburt ist wiederum vom Dasein abhängig. Dasein entsteht aus Ergreifen, welches aus dem Durst (Tanhā) hervorgeht. Dieser Durst entspringt der Empfindung, die von Sinnesberührung abhängt. Berührung beruht auf der Geist-Körperlichkeit, und diese wiederum auf dem Bewusstsein.
Wenn gefragt würde, wovon Bewusstsein abhängt, müsste die Antwort lauten: Geist-Körperlichkeit. Diese Kette führt zurück zur Geburt, und in Abhängigkeit davon befinden sich Altern und Sterben. Sorgen, Leiden, Schmerzen und Verzweiflung ergeben sich daraus.
Wenn Geburt nirgendwo da wäre, könnte es da wohl Altern und Sterben geben?“
Der Erhabene führte weiter aus, dass das „Selbst“ (Ātman) veränderlich sein müsse, um sich zu entwickeln, weshalb es vom Erhabenen als „Anatta“ (Nicht-Selbst) bezeichnet wurde. Er wandte sich an Ānanda:
„Wer glaubt, die Empfindung sei sein Selbst, dem sei gesagt: Es gibt drei Arten von Empfindungen: die freudige, die neutrale und die leidvolle. Alle sind unbeständig, bedingt entstanden und dem Verfall unterworfen. Wer dies erkennt, sagt nicht mehr: >Dahingegangen ist mein Selbst!<
Ein Bhikkhu, der sich von diesen Vorstellungen löst, fürchtet keinen Māra (den Tod oder das Böse). Angstfrei erreicht er das völlige Verlöschen (Nibbāna). Geburt ist vernichtet, sein ‚Brahmacariya‘ (Reinheitsleben) vollbracht. Nichts folgt mehr.
Wenn einer sagt: ‚Nicht existiert der Erhabene nach dem Tode!‘ oder das Gegenteil behauptet, ist dies bloße Meinung. Ein solcher Bhikkhu erkennt in unmittelbarer Einsicht, dass er frei ist.“
Achtsamkeitsübung: Die Kette des Entstehens reflektieren
Setze dich an einen ruhigen Ort und schließe die Augen. Visualisiere die Kette des abhängigen Entstehens:
- Beginne mit der Geburt und folge dem Weg zu Altern und Sterben.
- Erkenne, wie jeder Schritt durch den vorherigen bedingt ist.
- Beobachte deine Gefühle ohne Wertung und erkenne ihre Vergänglichkeit.
Atme tief ein und aus, während du dich mit dem Gedanken verbindest, dass Freiheit durch Loslassen möglich ist.
Quellenangaben
- Übersetzung und Kommentierung nach: Maha-Nidana Sutta (Dīgha Nikāya)
- Theravāda-Lehren der Waldtradition