Die zweite europäische Schrift
Die griechische und römische Schrift (Latein) mit dem russischen Ableger „Kyrillisch“ sind der sumerischen Schrift entlehnt. Anders die germanische Runenschrift, die sich aus ältesten Symbolen zusammensetzt mit sinnvollen Namen, deren Anlaut später den postalischen Lautwert angab. Das germanische Alphabet heißt nach ihren ersten sechs Buchstaben „F-U-Th-A-R-K“ und ist in drei Geschlechter (Gruppen) mit je acht Runen eingeteilt (3 x 8 = 24), wobei diese gemeingermanische Verbreitung sinnvolle Stationen des menschlichen Lebens anzeigen.
Als „Geheimrunen“ (Zauberrunen) verwendeten die Runenmeister einen senkrechten Stab, an dem sie zur rechten und linken Seite kleine Zweige pflanzen. 1, 2, 3 kleine Seitenzweige verrieten das 1., 2. oder 3. Runengeschlecht. Die 1 bis 8 Seitenzweige auf der rechten Stabseite bezogen sich dann auf die Runen 1 bis 8 innerhalb des angegebenen Geschlechts.
Im Jahre 2024 wurde bei Oslo (Norwegen) der bisher älteste Runenstein gefunden, dessen Runeninschrift den Namen einer dort vor 3000 Jahren bestatteten Frau preisgab. Die Runeninschriften wurden in der Pflugwende (eine Zeile von links nach rechts, folgende Zeile mit umgewendeten Runen von rechts nach links wieder zurück usw.) geschrieben, wobei man keine Runen doppelt schrieb. Hier in diesem (bisher) ältesten Runenstein wurde jedoch die Bar-Rune verdoppelt und an einem einzigen Stab geritzt. Der bisherige Versuch, die Runenherkunft irgendwie als aus dem Griechisch-Römischen abzuleiten, widerlegt dieses neueste Runenzeugnis.
Eine zweite europäische Schrift ist die Ogham-Schrift, welche nach dem irischen Schrifterfinder Ogam benannt wurde. Es handelt sich hier um eine Buchstabenschrift des 4. – 7. Jahrhunderts, welche auf Grab- und Grenzsteine Personennamen wiedergab. 300 Stein-Dokumente finden wir in Irland und 60 aus den irischen Kolonien in Wales, Cornwall, Schottland und der Insel Man. Es wurden kurze Worte in Irisch und auch in Latein oft beigefügt.
Die Ogham-Schrift besteht aus 5 Selbstlauten und 15 Mitlauten. Wer diese Schrift aufzeichnen möchte, der zeichne mit einem Lineal 5 senkrechte Linien. Auf der ersten Linie malt er (wie Perlen auf einer Schnur) 5 Punkte für die Rune I, 4 Punkte für die Rune E, 3 Punkte für die Rune U, 2 Punkte für die Rune O, 1 Punkt für die Rune A. So haben wir die erste Ogham-Gruppe mit den Vokalen erfasst.
Nun lassen wir noch die drei Buchstabengruppen mit den Konsonanten folgen, indem wir an der rechten Seite der vertikalen Linie übereinander 5 gerade Strichlein hängen für die Rune N, ebenso darunter 4 gerade Strichlein für die Rune S, darunter setzen wir gleichartig 3 Strichlein für die Rune „F“, unter dieser wiederum setzen wir mit 2 rechten Seitenstrichlein die Rune L, und mit einem kleinen Seitenstrich beenden wir diese Buchstabengruppe mit der Rune B.
Nun wenden wir wieder die Runen auf die linke Seite der Vertikallinie in der 3. Buchstabengruppe und kennzeichnen dort mit 5 kleinen Seitenstrichlein den Kehlkopflaut „Q“, setzen wir 4 kleine Seitenstriche darunter, erhalten wir die Rune K, 3 Strichlein ergeben die Rune T, 2 Strichlein ergeben die Rune D, 1 Strichlein führt zu der Rune H.
Für die 4. und letzte Buchstabengruppe müssen wir von links oben 5 Striche leicht nach rechts unten über die ganze Vertikallinie ziehen, um die Rune R zu erhalten, ebenso schräg über die Vertikallinie ergeben 4 Striche die Rune Z, und 3 solcher Striche kennzeichnen den gemeingermanischen Nasallaut der Rune Ng, 2 solcher Querstriche ergeben die Rune G, und ein Querstrich bezieht sich auf die Rune M.
Die Germanen nannten die Schriftgruppe Aet (Geschlecht) und die Kelten nannten ihre Schrift-Gruppe Aicme (Familie, Klasse). Jeder Buchstabe hat auch im Ogham einen Namen und so stimmt der runische Name Berak für B mit dem irischen Buchstabennamen „bethe“ (Birke) überein. Dieser im Norden verbreitete Heils-Baum mit seiner weißen Rinde gibt die Farbe „hell“ (althochdeutsch: „beraht“, engl.: „bright“) in seinem Namen auch richtig wieder.
Wie bei den Germanen, die in der EDDA ihren Schriftentdecker „Odin“ nennen und die Runen Zauberkraft zusprachen, verfügt auch in den altirischen Epen die Ogham-Schrift über magische Kräfte.
Es mag noch an einem altkirchlichen Vermächtnis liegen, vorchristliche Zeugnisse als Teufelswerk zu vernichten oder wenigstens zu ignorieren, weshalb sich bis heute noch keine dogmenfreie, vollständige Geschichtsschreibung entwickeln konnte.
Weiterführende Literatur:
- Düwel, Klaus: Runenkunde. Stuttgart: J.B. Metzler, 2020.
- McManus, Damian: A Guide to Ogam. Maynooth Monographs Series, 1991.
- Page, Raymond I.: Runes: A Handbook. Boydell Press, 2005.
- Koch, John T.: Celtic Culture: A Historical Encyclopedia. ABC-CLIO, 2006.
- Williams, J.E.Caerwyn: The Story of Ogham. National Museum of Wales, 1976.