Sprache der Seele
Unter Lyrik verstehen wir die höchste Gattung der Poesie im Sinne eines autonomen Sprachkunstwerks. Stilmittel der Lyrik sind Reim, Rhythmus, bildhafter Ausdruck und Sprachklang. Sie kann noch klassisch-musikalisch gesteigert werden und ist für Muttersprachler unverzichtbar in Bezug auf Herzensreife.
Lyrik I
„Das gelbe Laub erzittert, es fallen die Blätter herab.
Ach, alles, was hold und lieblich, verwelkt und sinkt ins Grab.
Die Wipfel des Waldes umflimmert ein schmerzlicher Sonnenschein,
das mögen die letzten Küsse des scheidenden Sommers sein!
Mir ist, als müsst ich weinen aus tiefstem Herzensgrund;
das Bild erinnert mich wieder – an unsre Abschiedsstund’!
Ich musste dich verlassen – ich wusste, du stürbest bald!
Ich war der scheidende Sommer – du warst der sterbende Wald!“
— Heinrich Heine (1797–1856)
Quelle: Heine, Heinrich. Sämtliche Werke. Hrsg. von Hans Kaufmann. München: Hanser Verlag, 1960.
Lyrik II
„Zieht im Herbst die Lärche fort, singt sie leis’ ‚Ade!‘
Willst du noch von mir ein Wort, bevor ich von dir geh’?
Wie die Träne, wie sie quillt – höre, was sie spricht:
Lieder hat die Lärche wohl – Tränen hat sie nicht!
Bei des Frühlings Wiederkehr, kommt die Lärch’ zurück
und Erinnerung bringt sie her vom vergangenen Glück!
Brächte sie von dir ein Wort, mir so hold, so lieb –
Lieder hat die Lärche wohl – Grüße hat sie nicht!
Und nach langem Trennungsschmerz kehr auch ich zurück,
sinke an dein treues Herz, lächelt mir dein Blick!
Und das Lächeln gleicht der Sonn’, die durch Wolken bricht!
Lieder hat die Lärche wohl – Lächeln hat sie nicht!“
— Heinrich Heine
Diese lyrische Variante ist Heine zugeschrieben, jedoch gibt es keine eindeutige Quelle in seinen kanonischen Werken. Möglich ist eine spätere romantische Nachdichtung im Heine-Stil.
Deutsches Liedgut: Ännchen von Tharau
1637 dichtete der brave Professor Simon Dach von der ostpreußischen Albertina-Universität der frühweisen Anna Neander dieses ursprünglich plattdeutsche Lied, als sie von Tharau nach Königsberg zog, um dort den wohlhabenden Theologen Johannes Portatius aus Schlesien zu heiraten. Mit ihm zog sie 1636 nach Tempen und später weiter nach Labiau, wo ihr älterer Ehemann 1646 verstarb.
Das Lied wurde ihr zum Hochzeitstag in Samländisch gewidmet und 1778 von dem großen Ostpreußen Johann Gottfried Herder ins Hochdeutsche übertragen. Wie im Lied musste Anna Neander viele Schicksalsschläge ertragen – etwa den Tod von sieben ihrer elf Kinder.
Viele Liebesbewerber musste sie abwehren und starb schließlich am 28. September 1689 bei ihrem treuesten Sohn Friedrich in Insterburg. Als Waisenmädel ziert Ännchen in Bronze heute noch den Simon-Dach-Brunnen – auch nach der Vertreibung der ostpreußischen Bevölkerung.
Aber das schöne Volkslied wird dort weiterhin in russischer und polnischer Sprache gesungen.1. Strophen aus „Ännchen von Tharau“
„Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt,
sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.
Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
auf mich gerichtet in Liebe und Schmerz.
Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.Käm alles Wetter gleich auf uns geschlan,
wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
soll unsrer Liebe Verknotigung sein.
Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.Recht als ein Palmenbaum über sich sticht,
je mehr ihn Hagel und Regen anficht,
so wird die Lieb in uns mächtig und grot
durch Krieg, durch Leiden, durch mancherlei Not.
Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.Würdest du auch einmal von mir getrennt,
lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt,
ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Eisen und Kerker und feindliches Heer.
Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn’,
mein Leben schließ ich um deines herum.“— Simon Dach (1605–1659)
Übersetzung ins Hochdeutsche: Johann Gottfried Herder (1744–1803)
2. Das Ostpreußen-Lied
„Land der dunklen Wälder und kristallen Seen,
über weite Felder lichte Wunder geh’n.
Starke Bauern schreiten hinter Pferd und Pflug,
über Ackerbreiten zieht der Vogelflug.Tag ist aufgegangen über Haff und Moor,
Licht hat angefangen, steigt im Ost empor.
Und die Meere rauschen den Choral der Zeit –
Elche steh’n und lauschen in die Ewigkeit!“— Hermann Sudermann (zugeschrieben, Anfang 20. Jh.)
Quelle: „Ostpreußenlied“, Volksliedtradition; erstmals publiziert in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, Textursprung umstritten.
Weiterführende Literaturtipps
Heinrich Heine:
Heine, Heinrich. Sämtliche Gedichte. Herausgegeben von Joseph A. Kruse. Insel Verlag, 2000.
Safranski, Rüdiger. Romantik. Eine deutsche Affäre. Hanser Verlag, 2007.
Deutsche Volkslyrik und Liedtradition:
Bächtold-Stäubli, Hanns. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. (Volkskundlich ergänzend)
Böhme, Franz Magnus. Deutsches Liederbuch. Breitkopf & Härtel, 1877.
Simon Dach & Ostpreußen:
Böttcher, Hans Jürgen. Ostpreußische Dichter und Denker. Langen-Müller, 1995.
Tetzner, Franz. Die deutschen Volkslieder mit ihren Melodien. Vieweg Verlag, 1901.
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