Das Prachtnetz

Aus der heiligen Tripitaka, Brahmajala-Sutta, in Kurzform gehalten

Einst wanderte der Erhabene auf der großen Straße zwischen Rafagaha und Nalanda mit einem großen Sangha aus fünfhundert Bhikhus. Hinter ihnen pilgerte der Wandermönch Suppiya mit seinem Schüler Brahmadatta und sprach allerlei Unlöbliches über den Buddha, das Dhamma und den Sangha. Doch der Schüler widersprach seinem Lehrer, und die beiden hielten sich immer mit Abstand hinter dem Sangha des Erleuchteten. Diese nahmen im königlichen Rasthaus Aufenthalt für die Nacht. Auch der Wandermönch Suppiya nahm dort mit seinem Schüler Unterkunft.

Bei Tagesanbruch versammelten sich die Mönche des Erhabenen im Rundpavillon und redeten über den lästernden Suppiya. Als dann der Erhabene den Pavillon betrat, setzte er sich auf eine hölzerne Rundbank und erkundigte sich bei seinen Wandermönchen: „Welches Gespräch habt ihr, Freunde, unvollendet gelassen?“

Der ehrwürdige Ananda antwortete dem Erhabenen: „Wir stellten, o Herr, folgende Betrachtung an: Erstaunlich ist es und wunderbar, wie der Erhabene, der Erkenner, der Durchblicker, der Vollerwachte, die verschiedenartigen Neigungen der Wesen wohl erkannt hat! Dieser Wandermönch Suppiya spricht auf allerlei Weise Unlöbliches vom Buddha, dem Dhamma und dem Sangha. Sein Schüler jedoch, der junge Brahmadatta, widerspricht seinem Meister! Diese Unterhaltung hatten wir unvollendet gelassen.“

Unberührt sprach der Erhabene daraufhin: „Mögen andere Unlöbliches von mir, meiner Lehre und meiner Gemeinde reden, so dürft ihr nicht Ärger, Unzufriedenheit oder Unbehagen aufkommen lassen. Wenn ihr erzürnt oder unzufrieden wäret, würdet ihr damit nur euch selbst schädigen. Könntet ihr dann noch das recht Gesagte vom nicht recht Gesagten unterscheiden? Mögen andere schlecht über uns sprechen, so habt ihr Unwirkliches als unwirklich abzulehnen: ‚Eben insofern ist das unwirklich, eben insofern ist das unrichtig. Derartiges gibt es bei uns nicht, und derartiges findet sich bei uns nicht.‘

Auch wenn andere Löbliches über den Erhabenen, sein Dhamma und seinen Sangha sprechen, so dürft ihr nicht Freude, Behagen oder leeren Stolz aufkommen lassen, ansonsten würdet ihr euch auch damit selbst schädigen. Geringfügig, untergeordnet, äußerlich ist das, woraufhin der gewöhnliche Mensch den Vollendeten mit Worten loben könnte, nämlich:

  • Der Büßer Gotama enthält sich der Lebensberaubung; abgelegt hat er den Stock und jegliche Waffe; zart und teilnehmend weilt er voll Mitleid um das Wohl aller lebenden Wesen.

  • Das Nehmen von Nichtgegebenem enthält er sich; nur Gegebenes nimmt er an, nicht diebisch, rein geworden im Inneren lebt er.

  • Unkeusches Leben hat er aufgegeben; das Reinheitsleben führt er, fernab wandelnd, abhold dem gemeinen geschlechtlichen Werk.

  • Falsche Rede hat er aufgegeben; falschen Worten enthält er sich; ein Wahrheitssprecher, der Wahrheit zugetan, aufrichtig, verlässlich, kein Betrüger der Menschen.

  • Verleumderische Rede enthält er sich; was er hier gehört hat, hinterbringt er nicht dort, um diese zu entzweien.

  • Harte Rede hat er aufgegeben; eine Rede, die untadelig ist, dem Ohr wohlgefällig, liebreich, zum Herzen gehend, höflich, den Menschen erfreulich und angenehm.

  • Leeres Geschwätz hat er aufgegeben; er spricht zur rechten Zeit, wirklich, sinngemäß; er spricht über die Lehre, über die Ordnung.

  • Ein-Mahlzeitler ist der Büßer Gotama; er enthält sich des Anblicks von Tanz, Gesang, Musik und Schaustellungen.

  • Ebenso enthält er sich des Schmückens und Verzieren mit Blumen, Düften und Kostbarkeiten sowie des Annehmens von weltlichem Luxus.

  • Polsterbetten und jegliche Besitztümer lehnt er ab; weltliche Beschäftigungen wie Dienstleistungen, Handel und Aufsicht verwirft er.

  • Das Zerstören von Keimendem und Knospendem legt der Büßer Gotama ab.

  • Jede Form der Berauschung lehnt er ab; ebenso Zukunftsschau und Traumdeutung.

Es gibt Priester und Pilger, die sich mit dem Voranfang befassen und hochtrabende Lehrsätze erzählen. Andere sind Ewigkeitsbekenner; als ewig lehren sie ein Atma (Seele) und beziehen sich auf ihre Wahrnehmung. Sie erinnern sich gar mannigfach der früheren Stätten (Leben) und folgern daraus, dass das Selbst und die Welt ewig seien.

Andere wiederum glauben an einen höchsten Brahma (Gott), der die Wesen erschaffen habe. Wieder andere gelangen durch hingebende Buße und geistiges Streben in höhere Himmel und werden dort zu Gottheiten, nur um später wieder auf die Erde herabzufallen. So verwirrt sich ihre Achtsamkeit.

Der Vollendete aber erkennt: ‚Diese Standpunkte, so aufgefasst und behandelt, führen zu einem bestimmten Zustand.‘ Doch darüber hinaus erkennt er auch das Entrinnen, und daran hält er sich nicht fest. So geht ihm die Ruhe auf, und er wird haftlos befreit.

Daraufhin sprach der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen: „Erstaunlich, o Herr! Wunderbar! Wie soll, o Herr, diese Lehrrede (Sutta) heißen?“

Und der Erhabene antwortete ihm: „So, Ananda, behalte diesen Lehrgang als das Netz der Meinungen, als das Prachtnetz!“

Befriedigt freuten sich jene Mönche über die Worte des Erleuchteten. Während aber diese Belehrung gegeben wurde, erzitterten die tausend Welten.


Anmerkung: In der heiligen Tripitaka verkündete der Erhabene jedoch auch, dass es den Gläubigen lange zum Wohl gereiche, wenn sie an seiner Gedenkstätte zu ihrer Erheiterung verweilen.

Achtsamkeitsübung:
Das Netz der Gedanken lösen
Setze dich in eine bequeme Position und schließe die Augen. Stelle dir vor, dass deine Gedanken wie ein feines Netz sind, das sich um deinen Geist legt. Mit jedem Atemzug löst sich ein Knoten dieses Netzes. Atme langsam ein und spüre, wie sich Spannung löst. Beim Ausatmen lass alle Urteile und festgefahrenen Meinungen los. Beobachte, wie dein Geist freier wird, bis er weit und offen wie der Himmel ist. Bleibe einige Minuten in dieser Stille, bevor du sanft deine Augen öffnest.

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