auf dem Pfad der Selbsterkenntnis
Alle Kulturvölker kennen den Gedanken einer unsichtbaren Seele:
Bei den Griechen heißt sie Psyche, bei den Indern Atma (vom Atem) oder Atta (vom Odem). Die Hebräer sprechen von Ruach (Hauch), und auch die Edda kennt den Begriff Önd (oder And, siehe Andlang oder Andwaris-Not).
Einzig der Buddhismus verzichtet auf den Gedanken einer ewigen Seele oder eines ewigen Gottes. Denn was ewig und unveränderlich wäre, könnte sich nicht entwickeln oder wandeln – es gäbe keine Hoffnung auf Veränderung. Wenn das Selbst eine feste, ewige Einheit wäre, wäre keine Entscheidung frei möglich. Nur durch die Unbeständigkeit wird alles möglich.
Buddha selbst war kein Gott, sondern ein Fürstensohn aus Kapilavastu (im heutigen Nepal). Das Leiden der Welt berührte ihn so sehr, dass er Palast und Familie verließ und im Asketenwald zur Erleuchtung fand. Er erkannte die Natur des Daseins: Anicca (Vergänglichkeit) führt zu Dukkha (Leid), und beides macht deutlich: Es gibt kein festes Selbst, sondern Anatta (Nicht-Selbst).
Was wird wiedergeboren?
Die Indoeuropäer brachten bereits 1500 Jahre vor Christus den Gedanken der Wiedergeburt nach Indien und Europa. Buddha aber stellte eine tiefere Frage: Woraus besteht der Mensch überhaupt?
Er lehrte, dass wir keine feste Größe sind, sondern ein Prozess, eine Ansammlung wechselnder Teile – wie ein Fluss, der sich ständig verändert.
Die fünf Skandhas (Aggregate)
Rupa – Körper, Form (Haut, Knochen, Sinnesorgane)
Vedana – Gefühle (angenehm, unangenehm, neutral)
Sanna – Wahrnehmung, Erkennen, Benennen
Sankhara – Geistesformationen, Gedanken, Absichten, Gewohnheiten (eng verbunden mit Karma)
Vinnana – Bewusstsein, das Erfahrungen ermöglicht, aber nicht unabhängig existiert
Diese fünf Aggregate sind keine feste Einheit, sondern ständig in Bewegung. Das Ich ist nur eine nützliche Etikette für diesen Prozess. Wie ein Mann, der von Ast zu Ast fällt und denkt: „Bis hierhin ist noch alles gut.“
Kein Atta, sondern Anatta
Wir bestehen aus einem Strom wechselnder Bedingungen. Die Vorstellung eines festen Selbst ist eine mentale Abkürzung. Wer Samsara, den Kreislauf der Wandlungen, durchschaut, erkennt, dass es kein Atta gibt – nur Anatta in einem Prozess ständiger Wiederholung.
Wiedergeburt als Prozess
Was wir „Wiedergeburt“ nennen, ist kein Wandern einer Seele von Körper zu Körper, sondern ein Punabbhava (Wiederwerden): das Weiterwirken von Karma, dem Ergebnis unserer Absichten, Handlungen und Worte. Der „Treibstoff“ dafür ist das Verlangen (Tanha).
Am Lebensende entsteht aus dem letzten Bewusstseinsmoment (Cuti-citta) ein neuer Bewusstseinsmoment (Patisandhi-vinnana), geprägt von unseren tiefsten Gewohnheiten und Absichten.
Der Kreislauf und die Freiheit
Solange Verlangen besteht, dreht sich das Dhamma-Cakka (Rad der Wiedergeburt). Nicht ein festes Selbst wandert von Leben zu Leben, sondern ein Prozess geistiger Energien, Absichten und Gewohnheiten.
Doch wenn durch Achtsamkeit und Erkenntnis das Verlangen erlischt, versiegt der Kreislauf. Kein Öl mehr in die Lebenslampe – so wird Nirvana erreicht: ein Zustand jenseits von Geburt und Tod, wo keine neuen Existenzen entstehen.
Fazit
Wir sind nicht ein festes „Ich“, sondern ein ständiger Fluss von Veränderungen. Durch unser Karma gestalten wir diesen Fluss selbst – wir sind „unseres Glückes Schmied“.
Erst das Loslassen von Anhaftungen und Verlangen führt zur Befreiung vom Leiden.
Wahre Buddhisten pflegen diese Einsicht im Leben und stützen die Mönchsgemeinschaft (Sangha), bis sie selbst bereit sind, den Weg zu gehen – bis zum Ende des Kreislaufs und zum Erwachen.
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Gibt es etwas in deinem Leben, das du bislang für unveränderlich gehalten hast – und was könnte sich öffnen, wenn du es stattdessen als Teil eines lebendigen Prozesses siehst?
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📚 Weiterführende Literatur
Walpola Rahula: Was der Buddha lehrte
Nyanatiloka Mahathera: Buddhistisches Wörterbuch
Bhikkhu Bodhi: In the Buddha’s Words
Thích Nhất Hạnh: Keine Angst – Vertrauen in schwierigen Zeiten
Ajahn Brahm: Die Kuh, die weinte
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