Kraft der Erkenntnis des Weges
Zu der Zeit, als der Erhabene im Lande der Kuru weilte, in der Hauptstadt Kummasa-dhamma, stellte er seinen Jüngern die Frage:
„Meistert ihr euch auch in der inneren Meisterung?“
Die Jünger schauten sich unschlüssig an. Da sprach der Erhabene:
„Ein Bhikhun (Mönch) meistert sich selbst in der inneren Meisterung, indem er das mannigfaltige, verschiedenartige Leiden in der Welt erkennt. Altern und Sterben haben ihren Grund, ihre Entstehung und ihren Ursprung im Häufen (Anhaften).
Wenn das Häufen da ist, gibt es Altern und Sterben. Wenn kein Häufen da ist, gibt es kein Altern und Sterben.
Der Bhikhun erkennt:
- Das Leiden – seine Ursache und sein Entstehen.
- Das Aufhören des Leidens und den Pfad, der zu diesem Aufhören führt.
So lebt ein Bhikhun in vollständigem Einklang mit dem Dhamma (der Lehre). Solch ein Mensch wandelt dem Pfad der vollkommenen Leidensbefreiung und des Aufhörens von Altern und Sterben.
Erkenntnis über das Häufen
Der Erhabene fuhr fort:
„Worin hat dieses Häufen seinen Ursprung?
Wenn etwas da ist, gibt es Häufen. Wenn etwas nicht da ist, gibt es kein Häufen.“
Sich selbst meisternd, erkennt der Bhikhun:
- Das Häufen hat seinen Grund im Durst (Pali: tanha).
- Wenn Durst entsteht, entsteht Häufen.
- Wenn Durst endet, endet Häufen.
„Dieser Durst entspringt und schlägt sich nieder an allem, was in der Welt lieblich und erfreulich erscheint. Sei es das Auge, das Gehör, der Geruch, der Geschmack, das Denken oder der Körper – all diese Sinnesfreuden nähren den Durst.“
Die Gefahr des Anhaftens
Der Erhabene verdeutlichte:
„Alle, die in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft das Liebliche und Erfreuliche als unvergänglich, glückvoll, wesenhaft oder gesichert ansehen, nähren den Durst und das Häufen. Sie vermehren das Leiden und entkommen Geburt, Altern, Sterben, Kummer und Verzweiflung nicht.“
Ein Gleichnis:
„Stell dir ein Gefäß vor, gefüllt mit wohlriechender, wohlschmeckender, kühler Flüssigkeit.
Ein durstender Mann, erschöpft und halb tot vor Hitze, tritt heran. Man sagt zu ihm:
‚Trinke daraus, aber wisse: es wird dich unvermeidlich und bald in den Tod führen.‘
Der Mann trinkt hastig, ohne zu überlegen, und fällt dem Tode anheim.“
Der Weg zur Befreiung
„Wer jedoch das Liebliche und Erfreuliche als vergänglich (anica), leidvoll (dukkha) und seelenlos (anatta) erkennt,
der löscht den Durst, beendet das Häufen und wird endgültig frei von Geburt, Altern, Leiden und Sterben.“
(Quelle: Tripitaka, Sammasa-Sutta, gekürzt)
Anmerkungen zur Interpretation
- Der geeignete Pfad ist der Achtfache Pfad (arya magga) mit den fünf Silas (ethische Grundsätze).
- Der Begriff „Durst“ (tanha) ist vergleichbar mit den nordischen „Thursen“ (Durstige), Sinnbilder der Trunksucht.
- Göttervater Odin, gemäß der nordischen Mythologie, verzehrt keine Nahrung, sondern lebt vom Trank Öd-Rörir (Geist-Reger, Intuition).
Hávamál, Vers 11:
„Nicht ist so gut, wie viele glauben: das Bier der Erdenbürger, denn je mehr der Mensch trinkt, desto weniger Bewusstsein hat er.“
Achtsamkeitsübung – „Der Beobachter im Jetzt“
- Setze oder lege dich bequem hin und schließe die Augen.
- Nimm einen tiefen Atemzug und lasse alle Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft los.
- Lenke deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem – achte auf das Heben und Senken deines Brustkorbs.
- Beobachte deine Empfindungen, Gedanken und Gefühle, ohne sie zu bewerten.
- Erkenne sie als vergänglich und lasse sie ziehen, wie Wolken am Himmel.
- Bleibe einige Minuten in dieser Haltung des stillen Beobachtens und kehre dann sanft ins Hier und Jetzt zurück.
Weiterführende Literatur
- „Die Lehren des Buddha – Dhammapada“
- „Der Weg zur inneren Befreiung“ von Thich Nhat Hanh
- „Meditationen eines Mönchs“ von Bhikkhu Bodhi
- „Die Essenz des Buddhismus“ von Pema Chödrön