Eine Geschichte über Almosen und Tugend
Im Lande der Kosala verbreitete sich das Gerücht, der Erhabene habe die Bewohner dazu aufgerufen, nur seinem Orden Almosen zu spenden. Der Landesherr, neugierig auf den Wahrheitsgehalt dieser Aussage, begab sich nach Savatthi, wo sich der Erhabene zur damaligen Zeit aufhielt.
Der König begrüßte den Erhabenen höflich, setzte sich an seine Seite und stellte die Frage:
„Wann sollte man Almosen geben, o Herr?“
Der Erhabene antwortete wahrheitsgemäß:
„Wann das Herz, o Großkönig, daran Freude hat.“
Daraufhin forschte der Maha-Raja weiter:
„Wann nun, o Baghavan, trägt das Gegebene reiche Frucht?“
Der Erhabene, wissend, wohin die Fragen des Königs führten, entgegnete:
„Etwas anderes, o Maha-Raja, ist dies: Wann ist Almosen zu geben? Und wann tragen Almosen ihre Frucht? Was einem, der sittliche Zucht übt, gegeben wird, trägt reiche Frucht. Nicht ganz so ist es bei einem weniger Sittlichen!
So möchte ich auch dir, o Großkönig, eine Frage stellen. Wie es dir beliebt, magst du darauf Antwort geben. Nehmen wir an, zu dir käme ein junger Mann und bittet, in deine Dienste zu treten. Und nehmen wir an, du hättest eine nützliche Verwendung für ihn. Angenommen, dieser junge Mann wäre ungeschult, ungeschickt, ungeübt, schwach und träge. Würdest du ihn in deinen Dienst nehmen?“
Der Großkönig verneinte diese Frage energisch. Der Erhabene lächelte und sagte:
„Ganz ebenso, o Maha-Raja, aus welcher Familie jemand aus dem häuslichen in das hauslose Leben übertritt: Wenn es einer ist, bei dem fünf Eigenschaften geschwunden sind und der mit fünf edlen Eigenschaften ausgestattet ist, dann trägt das Gegebene reiche Frucht.
Die fünf erloschenen Eigenschaften sind:
- Begehren nach sinnlicher Lust
- Trägheit und Faulheit
- Bosheit
- Hochmut
- Wankelmut und Zweifel
Die fünf edlen Eigenschaften, die sich bei ihm einstellen, sind:
- Sittliche Zucht
- Sammlung
- Erkenntnis
- Erlösungsschau
- Erleuchtung
Das gehört jenem, der nicht mehr der Schulung bedarf. Was einem solchen Menschen gegeben ist, das trägt reiche Frucht.“
Also sprach der Erhabene. Nachdem der Führer auf dem Heilspfad so gesprochen hatte, verkündete er folgende Gedichtverse:
Die Verse des Erhabenen
„Bei welchem jungen Mann Bogenschützenkunst,
Kraft und Mannhaftigkeit sich findet,
den wird der gerüstete König in seinen Dienst nehmen,
nicht aber ein Feigling bloß wegen seiner Herkunft!
Ebenso wird, wenn bei einem die Eigenschaften
Geduld und Güte eingewurzelt sind,
der Einsichtige einen solchen, der von edler Art ist,
auch wenn er von niedriger Abkunft, durch Gaben ehren.
Er wird geeignete Einsiedeleien errichten
und die wohlunterrichteten Bhikhus dort wohnen lassen;
Zisternen wird er in wasserloser Wildnis anlegen lassen
und Wanderwege in ungangbares Gelände.
Speise, Trank, Kleidung und Nachtlager
wird er den Rechtlebenden geben mit glaubensfrohem Herzen.
Denn wie eine donnernde Wolke, der blitzbekränzte Himmelsgott (Indra)
Hochland und Tiefland füllt, die Erde beregnet,
ebenso wird der gläubige Hausherr
den edlen Wandermönch mit Speise und Trank erquicken.
Freude bereitend, teilt er aus, rufend:
‚Gebt Almosen! Gebt Almosen!‘
Denn das ist sein Danawerk,
wie der Donner des regenbringenden Gottes.
Diese reiche Flut seiner verdienstlichen Werke
überströmt den Geber!“
Achtsamkeitsübung
Übung: Die fünf edlen Eigenschaften verinnerlichen
- Setzen Sie sich an einen ruhigen Ort und schließen Sie die Augen.
- Atmen Sie tief ein und aus, und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Körper.
- Reflektieren Sie über die fünf erloschenen Eigenschaften (Begehren, Faulheit, Bosheit, Hochmut, Zweifel). Fragen Sie sich: „In welchen Bereichen meines Lebens darf ich sie loslassen?“
- Nun visualisieren Sie die fünf edlen Eigenschaften (Sittliche Zucht, Sammlung, Erkenntnis, Erlösungsschau, Erleuchtung) als leuchtende Kugeln vor Ihrem inneren Auge.
- Mit jedem Atemzug lassen Sie diese Kugeln in Ihr Herz fließen und spüren, wie sie Ihr Wesen bereichern.
- Nach fünf Minuten öffnen Sie die Augen und bringen diese Eigenschaften in Ihren Alltag ein.
Weiterführende Literatur
- „Die Reden des Buddha: Suttanipata“ (Dīgha Nikāya)
- Thich Nhat Hanh: „Das Herz der Lehre Buddhas“
- Walpola Rahula: „Was der Buddha lehrte“